Seelenbilder für Mensch und Tier

Gefallener Engel

I.

Es gibt einige Legenden, in denen die Pferde durch die Götter erschafft worden sind. Der Allah hat den Araber aus dem Südwind gemacht, auch Odin hat den Sleipnir vom Loki bekommen. Es gibt aber noch eine vergessene Legende und die möchte ich Euch

erzählen.

Zu der besagten Zeit wohnten im Himmel noch Götter. Es war der Ort der Schönheit, Musik und Überflusses. Die Himmelswesen lebten zwischen den Wolken und kümmerten sich nicht drum, was auf der Erde passierte. Es gab damals nur wenige Menschen und das Überleben hier war sehr schwierig. Der Boden war sehr trocken, denn es regnete nur selten. Die Landschaften formten Berge, Wüsten und das Meer. In den wenigen Wäldern versteckten sich die letzten Tiere, denn die meisten sind von den Menschen erjagt worden.

Eines Tages kam Phileas, der jüngste Sohn des Wetter Gottes zu seinem Vater.

„Vater" -sagte er-"Ich bin kein Kind mehr und möchte Dich um die Erlaubnis bitten, die Erde unter uns zu besuchen."

Ba'al schaute seinen Sohn etwas skeptisch an, zog seine dicke Augenbraue nach oben und dann lächelte er.

Er beugte sich vor und nahm mit seiner Hand etwas Wolken, auf denen sie standen. Er machte daraus ein weisses Pferd und betrachtete es genau. Dann nahm er noch mehr Wolken und formte ihm noch 2 Flügel auf dem Rücken.

„So"- sagte Ba'al- „Auf diesem edlem Geschöpf kannst Du auf die Erde und zurück fliegen".

Phileas war begeistert und nahm das Tier mit. Er sprang auf den Rücken des Hengstes und flog mit ihm durch die Lüfte. Aber nachdem er die Erde erkundet hatte, war es ihm sehr schnell wieder langweilig. Es gab da nichts spannendes für ihn, wie er feststellte. Der junge Gott war nämlich sehr oberflächlich und sehr egoistisch. Also nützte er die Ausflüge auf die Erde um den Menschen dort Streiche zu spielen. Er versteckte ihnen Sachen, machte etwas kaputt und schaute mit schelmischen Lächeln zu wie sie darunter litten oder wie sie sich aufregten.

Das machte sein Pferd aber traurig. Ihm taten die Menschen leid. Aber weil er dem Phileas unterstellt war, machte er alles mit was der von ihm verlangte und hat sich nicht von ihm abgewandt.

Eines Tages hat Phileas den Bogen überspannt und sein Vater erfuhr von den Missetaten seines Sohnes.

Verärgert drohte Ba'al ihm den einzigen Durchgang zur Erde zu sperren, wenn sich sein Verhalten nicht ändere.

Die Drohungen seines Vaters nahm Phileas nicht ernst und machte weiter.

Als er von seinem Ausflug in den Himmel zurückkehren wollte, stand der Zeus vor dem Durchgang und versperrte ihm den Weg. Sein Ausdruck war angespannt und verärgert.

Phileas hatte keine Lust auf seine Belehrungen und wollte nicht halten. Aus seiner Übermut versuchte er den König zu überfliegen. Zeus hob sein Stab nach oben und ein Blitzstrahl schoss durch die Luft und traf sein Pferd. Die Flügel verschwanden und Phileas schwebte einen Moment lang in der Luft, als er auf die Wolkendecke vor die Füsse des Zeus fiel. Sein Pferd aber fiel in die unendliche Tiefe auf die Erde...

Der König sprach nichts, er verschloss den Durchgang und schaute Phileas nur mit bösem Blick an und ging fort.

Was aus Phileas geworden ist, weiss man nicht.


II.

Das Pferd machte die Augen auf. Es lag auf einem harten Waldboden. Rund um ihn war es still. Die Bäume ragten in die Höhe und liessen zwischen ihren Stämmen einige Sonnenstrahlen durch.

Er wollte aufstehen, als plötzlich ein Netz von oben auf ihn fiel und er konnte sich nicht bewegen. Dutzende Hände ragten nach ihm und zogen ihn auf die Beine.

Es sah die Furcht der Menschen in ihren Augen, denn sie haben so ein Wesen noch gar nicht gesehen. Die Furcht war auch in seinem Herzen, denn er wusste nicht was sie mit ihm machen werden.

Erschrocken stand das Pferd in Mitten es umringenen Menschenmenge.

„Bringt es in den Lager!"- rief einer der Soldaten. Die Männer gehorchten, das Pferd ebenso. Es wehrte sich nicht als sie ihn in ein Zeltlager brachten und an ein Pfahl angebunden haben. Ein grosser Mann kam auf ihn zu und betrachtete ihn. Seine starken Beine, sein Rücken und die sanften Augen. Er sprang auf sein Rücken und grinste. Die Söldner sahen in dem Besitz des Pferdes ihren grossen Vorteil. Seit denn musste das Pferd mit in die Schlacht kommen und schwere Lasten ziehen. Die Zeit verging und eine Schlacht folgte der anderen. Das Pferd musste den Geruch der Leichen, verbrannten Hütten und das Geschrei der Sterbenden ertragen.

Seine Seele zerriss und es zog sich immer mehr in sich zurück.

Es wünschte sich an einen anderen Ort. Es machte die Augen zu und sah eine wunderschöne Wiese mit Blumen übersät. Schmetterlinge flogen um ihn herum und es herrschte Harmonie und Frieden. Seine Ausflüge in die Anderswelt waren immer länger und es wollte nicht mehr in seine schreckliche Realität zurückkommen.

Eines Tages gingen die Söldner durch ein ödes und karges Land. Nur wenig wuchs dort und der Sand machte das laufen schwer. Der Anführer sass auf dem Pferd, das noch einen Karren ziehen musste. Der Schweiss tropfte ihm auf die Nüstern. Es war heiss und die Sonne wollte nicht aufhören zu brennen.

Als plötzlich ein Schrei sie alle aus der Trance ausriss. Wie aus dem Nichts tauchten Krieger auf. Sie waren von Kopf bis Fuss in dunkel blaue Gewänder angezogen. Nur ihre dunklen Augen waren zu sehen. Die Söldner zogen ihre Waffen und das Blutvergiessen fing wieder an. Das Pferd wollte seine Augen schon zumachen um sich in sein Innerstes zurückzuziehen, als er plötzlich merkte, dass alle Söldner tot am Boden lagen. Einer der blauen Krieger schaute das Pferd fragend an und kam auf ihn zu. Er hielt sein blutverschmiertes Schwert in der Hand. Das Pferd riss die Augen auf und erwartete das Schlimmste. Als der Mann mit einem Hieb die Lederstricke auf seiner Brust löste und die ganze Last fiel ab ihm ab.

Das Pferd schaute den Krieger aufmerksam an und meinte etwas freundliches in seinen Augen zu lesen.

Der Mann verschwand und das Pferd blieb allein.


III.

Die Füsse trugen ihn vorwärts. Wohin- wusste er nicht. Ohne Ziel irrte er durch den heissen Sand. Es gab nichts zu essen, keinen Schutz, rundum war alles nur Wüsste. In der Nacht war es sehr kalt, also beschloss es in der Nacht zu laufen und am Tag abzulegen und etwas zu schlafen.

Es träumte gerade von einem schönen Ort mit einem See und viel grünen Wiesen. Als auf ein Mal etwas Nasses seine Nase berührte. Es machte die Augen auf und sah im Licht der Sonne eine kleine, schmale Kontur.

Nach ein paar Mal blinzeln wurde das Bild schärfer und er sah ein kleines Mädchen, dass neben ihm kniete und aus einer Flasche kühles Wasser auf seine Nüster leerte.

Sie schenkte ihm ein breites Lächeln, als sie sah, dass er lebte. Sie berührte mit seiner zarten Hand seine Wunden auf dem Rücken. Oh das tat weh! Die hat er bis jetzt gar nicht gemerkt.

Er folgte ihr und sie gingen zu einem kleinen Haus am Rande eines Waldes. Die Bäume fühlten sich traumhaft an, sie schenkten Schatten und eine angenehme Frische. Das Pferd zog die wunderbare Luft des Waldes in seine Lunge.

Das Mädchen machte dem Pferd ein weiches Bett aus Blättern, gab ihm Wasser und pflegte seine Wunden. Ihr Vater war ein gütiger Mann und hiess das Tier bei ihnen ebenso willkommen. Was war das für ein anderes Leben! Ein Leben voll mit Liebe, Mitgefühl und Respekt. Aber diese Menschen waren sehr arm, hatten nicht viel zu essen und alles mussten sie sich selber erarbeiten.

Als eines Tages der Vater einen Pflug anzog um ein Stück Land, das neben dem Haus war zu bearbeiten, kam das Pferd zu ihm. Es schubste den Mann weg und zog selber das Geschirr an. Mit Leichtigkeit zog er den Pflug und bestellte so das Land. Der Vater stand wie angewurzelt stehen und Tränen liefen ihm aus den Augen. Tränen der Dankbarkeit! Daraus folgten Jahre voller Fruchtbarkeit und des Glücks. Denn es kann nur ein Glück sein so einen Freund wie das Pferd zu haben.

Das Pferd bekam natürlich von dem Mädchen einen Namen. Aber den trägt sie in ihrem Herzen und hat es niemanden verraten.


ENDE